Denn Liebe ist stark wie der Tod. Lianes Geschichte

von Andersdenkende
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Einmal kam sie freudestrahlend von einem Treffen mit ihm zurück: „Stell dir vor, er hat gesagt, er will mich beruflich unterstützen! Er sagt, ich habe tolle Ideen und man könnte eine Menge machen daraus. Er hat gesagt, wenn ich mit dem Studium fertig bin, wird er mir das Geld für eine eigene Firma geben!“
„Liane, nun sei doch nicht so naiv!“ schimpfte ich, „Kein Mensch auf der Welt wird dir einfach so das Geld für eine eigene Firma geben ohne Gegenleistung! Das ist nettes Märchendenken, aber nicht die Realität!“
Liane war beleidigt, weil ich ihr nicht glaubte. Der Traum von der eigenen Firma begleitete sie schon seit der Schulzeit, und sie war hingerissen von ihrem Freund, der ihr diesen Traum nun einfach so verwirklichen wollte. (Dass Liane von dem zugesagten Geld tatsächlich nie etwas gesehen hat, brauche ich wohl nicht zu erwähnen.)

Irgendwann war es dann soweit, das Gerede von „Nur-Freundschaft“, „Inspiration“ und „Gespräche“ wurde in den Wind geschossen, die beiden verbrachten ihre erste gemeinsame Nacht miteinander.
Ich war schockiert. „Liane, der Mann ist VERHEIRATET! Ist es klug, sich auf etwas einzulassen, was wahrscheinlich keine Zukunft hat?“
Liane zuckte die Achseln. „Ach,“ meinte sie leichthin, „Ich habe das schon im Griff. Ist ja nicht der erste. Ein Moralapostel bin ich nicht, jetzt verbringen wir halt eine nette Zeit miteinander. Du siehst das alles viel zu eng. Wenn es mir zuviel wird, kann ich es ja beenden.“

Davon, dass Liane alles im Griff hatte, merkte man nach einiger Zeit nichts mehr: Sie verliebte sich unsterblich in ihn. Er, Genießer und Gourmet, nahm ihre Liebe gerne an. Sie begannen ein Verhältnis, Liane schwebte auf Wolken. Dadurch, dass ihr Geiger seine Familie im Ausland hatte, konnte sie den Gedanken an sie verdrängen, sich vormachen, dass sie tatsächlich eine Zweierbeziehung führten. Ihr Geliebter hatte zwar trotzdem nicht immer Zeit für sie, und sie durfte ihn auch nicht immer anrufen (warum wohl? Manchmal habe ich schon daran gedacht, dass er vielleicht noch andere Geigen neben Liane hatte...), aber sie hatte es dennoch leichter als eine Geliebte, die die Ehefrau stets vor der Nase hat.

Zuerst war alles wunderschön und wie auf Rosen. Er versprach ihr, sich für sie zu trennen, mit ihr ein neues Leben anzufangen. Seine Ehe mit seiner Frau sei schon lange am Ende, er empfinde nichts mehr für sie. Liane sei die Liebe seines Lebens.

Dann jedoch, fast unmerklich, begann die Beziehung sich zu wandeln.
Liane, anfangs noch fröhlich, selbstbewusst und guter Dinge, begann, sich zu verändern, sie wurde abhängiger, unausgeglichener, war nicht mehr so zuversichtlich. Sie fing an, zuhause zu sitzen und auf seine Anrufe zu warten. Wenn er nicht anrief, fiel sie in ein tiefes Loch. Zunehmend bekam sie Stimmungsschwankungen: Den einen Tag war sie himmelhochjauchzend, den nächsten zu Tode betrübt. Ihr ganzes Leben richtete sich nach und nach immer mehr nach IHM aus.

Es gab die ersten Tränen, die ersten Heulattacken. Wenn er mal wieder bei seiner Familie im Ausland war, war es besonders schlimm. Liane hatte in dieser Zeit keine Möglichkeit, ihn zu kontaktieren, sie saß zuhause und weinte sich die Augen aus, weil sie sich nie sicher sein konnte, ob er wiederkam.
Ganz zu Beginn hatte er ihr gesagt, er würde sie lieben. Jetzt auf einmal erklärte er, er würde seine Familie nie verlassen, und er würde seine Frau lieben. „Darauf gibt es nur eine Antwort,“ sagte ich hart zu Liane, „’Wenn du deine Frau und nicht mich liebst, dann geh’ zu deiner Frau.’“
Liane heulte. Nein, das wollte sie ihm so nicht sagen, sie wolle ihn nicht verlieren, und er habe es bestimmt nicht so gemeint, sondern nur so dahergesagt.
Meinen Argumenten gegenüber, dass kein Mann das einfach nur so dahersagt, verschloss sie sich. Sie wollte lieber seine Brosamen als gar nicht von ihm haben.

Liane ging es zunehmend schlechter. Sie ging kaum noch mit uns raus, wartete die ganze Zeit nur auf irgendeine Aktion von ihm. Wenn er dann mal Zeit hatte und vorbeikam, überschminkte sie sich dick die verheulten Augen, setzte ein fröhliches Gesicht auf und bemühte sich, ihn nur ja nichts von ihrem Kummer und ihrem Schmerz merken zu lassen. Denn darauf hatte er sie mehr oder minder dressiert, „Ärger habe ich schon zuhause und im Beruf, das brauche ich mit dir nicht auch noch,“ hatte er gesagt und ihr somit klargemacht, welches Verhalten er von ihr erwartete. Liane, voller Angst, er könne sich von ihr abwenden, machte das Spiel mit.

Es war bald nicht mehr zu übersehen, dass Liane nicht mehr Herrin der Situation und ihrer Entscheidungen war; ihre Gefühle hatten sich „verselbständigt“, ihre Liebe war, ich finde kein anderes Wort, Abhängigkeit, vielleicht sogar Hörigkeit geworden. Die ganze Situation war ihr restlos über den Kopf gewachsen.
Ihre Freunde und Eltern machten sich große Sorgen um sie. Einige redeten mit Engelszungen auf sie ein, andere empfahlen, es sei klüger, sie in Ruhe zu lassen, wenn man zu viel Druck mache, würde das nur zu Trotzreaktionen führen. Ich selbst wusste manchmal kaum, wie ich mich verhalten sollte; hin und wieder konnte man fast nicht mehr mit ihr reden, weder Verständnis noch Argumente halfen dann. Teilweise hatte sie recht klare und lichte Momente, in denen sie selbst einsah, auf welch ausweglosem Pfad sie sich befand, und sich vornahm, die Beziehung zu beenden. Oft aber schaltete sie auf stur, versuchte, sich und allen anderen einzureden, dass sie sehr glücklich sei und ihre Beziehung eben nur Anfeindungen „von außen“ ausgesetzt sei, was die Situation ein bisschen schwieriger mache.
Ich redete manchmal offen mit ihr, manchmal aber schwieg ich auch. Ich bemühte mich, Verständnis zu zeigen, sie zu nichts zu drängen, da ich ja wusste, in welch vermaledeiter Lage sie sich befand. Mir war klar, dass sie wahrscheinlich einfach „durchmusste“, dass es vermutlich das Klügste war, abzuwarten und die Zeit arbeiten zu lassen. Irgendwann würde die Schmerzgrenze bei Liane sicherlich erreicht sein, irgendwann musste der Selbsterhaltungstrieb einsetzen, und dann würde sie in der Lage sein, diese destruktive Beziehung zu beenden.

Liane selbst hat übrigens tatsächlich mehrfach versucht, die Beziehung zu beenden. Aber sie kam nicht los von diesem Mann. Und da sie nicht bereit war, Hilfe anzunehmen, konnte ihr auch keiner helfen.

Ihr Geiger behandelte Liane zunehmend schlechter. Er kam und ging, wann es ihm passte, oft meldete er sich tagelang nicht, und bei den Treffen kam es meistens nur noch zum Sex, viel Drumherum fand nicht mehr statt.

Liane, in ihrer Liebe und Abhängigkeit, tat etwas sehr Dummes: Um mehr „Nähe“ zu schaffen, wohl auch, um ihm klarzumachen, wie sie fühlte, hatte sie ihm ihr Tagebuch gegeben. Er hatte es gelesen, kannte nun ihr komplettes Inneres und die Art, wie sie „tickte“, und hatte nun leichtes Spiel, sie zu manipulieren. Er gab zum Beispiel kurzerhand Lianes Träume als seine eigenen aus. Liane berichtete begeistert davon: „Wir liegen total auf einer Wellenlänge! Er fühlt und empfindet wie ich, das ist Schicksal, wir sind seelenverwandt!“

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Foto: Philippe Fiedler  aboutpixel.de