ABENDLEUCHTEND
(Gastbeitrag von Renate Reismann, Autorin)[Werbung]
Er zog sich zurück und gab wie immer vor, die Zeitung lesen zu
wollen. Sie saß unruhig auf dem einzigen Stuhl des karg
eingerichteten Zimmers und er spürte, dass sie langsam in jenen
Zustand hinein geriet, dem er immer größeren Widerstand
entgegensetzte.
Sie erinnerte ihn an einen gefangenen Vogel, der sich gegen
Glaswände warf. Wie lange würde sie es noch aushalten? Im Grunde,
dachte er, entfaltet sich die eigentliche Natur der Frauen in dem
Augenblick, in dem man bereits weiß, dass man sie verlässt, sie es
aber noch nicht wahr haben wollen. Er hatte Frauen gekannt, die sich
in solchen Wochen vor dem eigentlichen Abbruch der Beziehung von ihm
mit großer Brutalität ablösten, ihn beschimpften und einen Macho
nannten, Er kannte, zu seinem Glück, dachte er selbstzufrieden,
Frauen, die den Liebeskodex von A bis Z kannten und sich verhielten
wie brave Taxifahrer, denen es nicht einfiel, vor der
Prüfungskommission auch nur einen kleinen Fehler zu machen. Diese
wohl erzogenen Frauen, die vom Liebesspiel alles beherrschten, eben
auch das Kapitel der Trennung, die hinterließen bei ihm eine große
Bewunderung, die sich in nachträglich großzügige Zuneigung
verwandeln konnte.
Diese ruhige, äußerlich wohl gemerkt, diese äußerlich ruhig wirkende
Frau hatte ihn jahrelang in ihren Bann gezogen, weil sie mit ihrem
Körper so freizügig und hingebungsvoll hauszuhalten verstand. Sie
war wie eine exzellente Köchin der Liebesgesten, verführte ihn und
sich selbst mit Raffinement. Doch jede Küche verliert auf die Dauer
ihren Reiz, er musste lächeln, verbarg dieses Lächeln rasch hinter
der vorgehaltenen Zeitung, diese Küche kannte er nun schon zur
Genüge.
Er hatte genossen. Und sie auch, entschied er. Sie hatte selbst zu
dieser Farce beigetragen und damals, als er sich das erste Mal im
Hotel auf seinen Sessel zurückzog (nein, das war kein Sessel obwohl
in manchen der stets wechselnden Hotelzimmern auch ein Sessel zum
Mobiliar gehört haben mochte, als er auf einem Sessel, oder auf
einem bequemen Armstuhl da saß und sich in eine Zeitung vertiefte,
hatte sie ihm die Pfeife gereicht und ihm zugeflüstert, dass ihr das
besonders lieb sei und ob er nächstes Mal einen Hausmantel und
Pantoffeln mitbringen könne, denn für eine Stunde oder so könne sie
sich vorstellen, seine Frau zu sein, Mann und Frau könnten sie
spielen unter anderen Spielen, unter den vielen, die sie miteinander
spielen könnten.
Und so hatte sich diese dumme Gewohnheit eingenistet. So saßen sie
sich des öfteren einander gegenüber: sie gab vor an einem Kissen zu
sticken und er spielte den etwas distanzierten Hausvater. Einmal
hatte er sie nicht verlassen können ohne ein riesiges Kopfkissen aus
Seide angenommen zu haben. Er wusste, wie viel Arbeit und Geld sie
in die kostbaren Seidenstoffe und den besonders ausgesuchten Faden
gesteckt hatte, und war nichtsdestotrotz erleichtert, als er das
überdimensionale Geschenk in der nächsten Mülltonne entsorgt hatte.
Nein, er war nicht sympathisch. Er war auch gar nicht gekommen um
sympathisch zu sein, Er hatte nur das Spiel spielen wollen, den
discours noch einmal hören und deklamieren, sich selbst als haltlos
Liebender gefühlt, er wollte nur glücklich sein, mit ihr, aufgrund
eines Glückes, das er bei ihr geahnt hatte, von dem er wusste, dass
sie es in sich trug und dass es ihm oblag, sich seiner Entfaltung
anzunehmen.
Er war der Pygmalion dieser Damen. Sie brauchten ihn alle, und er
hätte es am liebsten gehabt, wenn sie sich vor ihm aufstellten in
lockerer Anordnung um ihnen zu zeigen, wie sich das verhielt mit der
Liebe. Für diese ehrliche und durch und durch großzügige Befassung
mit den Gefühlswallungen seiner Geliebten fühlte er sich
verantwortlich: es mag ihn an seine frühen Jahre erinnert haben, als
er die Aufgabe hatte, die Kaninchenställe zu versorgen.
Ihm war es immer gelungen, allen Kaninchen gerecht zu werden und
wenn seine Knabenhand die feuchten Schnuten berührte und er ihnen
ein Salatblatt oder Karotten zuschob, fühlte er damals schon ein
Gefühl der Allmacht in sich aufwallen.
Sie streckte sich jetzt, stand auf. Er tat weiter so als läse er
intensiv einen Artikel über den Streik der Bahnarbeiter. Er
gestattete sich keine Regung, als sie offensichtlich dabei war, sich
stadtmäßig wieder anzukleiden. Das gehörte nicht zum Kodex. Sie war
gerne und ausführlich im Negligé verblieben, streckte ihm hier und
da eine nackte Schulter entgegen. Er hätte sich gewarnt fühlen
sollen, als sie plötzlich voll und ganz gekleidet vor ihm da stand,
in ihren Händen den kleinen Bürokoffer, der ihr als Hotelkoffer für
die heimlichen Zusammenkünfte ihrer nun schon zehn Jahre andauernden
Liaison diente. Diesen Koffer hatte er ihr geschenkt und es war ihm
eine Freude gewesen, sie mit dem allerbesten feinsten Nappaleder zu
versorgen, wie es sich für eine Liebschaft auf hohem Niveau gehörte.
Sie trug nun den Nappalederkoffer in beiden Händen, ihre schlanke
Gestalt sah entschlossener und verhärmter zugleich aus. Dann ging
sie zur Tür und er hatte Mühe weiter so zu tun, als läse er. Die
Zimmertür öffnete sich, ein Lichtstrahl, sehr rot, sehr
abendleuchtend durchfuhr das ganze Zimmer und überflutete ihn. „Dann
gehe ich also“ sagte sie.
Dieses „Dann“ hätte er kommentieren können und auch das „also“: Im
Grunde, Wörter, die man aus ihrem Satz hätte streichen können. So
war sie, dachte er, sie gebrauchte immer ein paar Worte zu viel.
Renate Reismann
Copyright
Der Text entstand in einer Schreibgruppe. Vorgabe war, sich von einem
Gemälde Hoppers inspirieren zu lassen. Titel des in Hamburg ausgestellten
Gemäldes „Menschen im Hotel“
Foto:
succo / Pixabay.de
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