Auszug aus dem Buch: Die Geliebte

von Maja Langsdorff [Werbung]

Leben in zwei Welten

Im Verborgenen können Wunschvorstellungen, Illusionen und Phantasien wuchern wie Unkraut. Besteht in der illegalen Liaison die Pflicht zur Verschwiegenheit - was in einer Vielzahl der Romanzen unerlässlich scheint - wird mit der Geheimniskrämerei auch ein Großteil der rauen Wirklichkeit ausgesperrt. Oder, anders ausgedrückt, eine zweite Wirklichkeit geschaffen. Es ist eine Traumwelt, die nur den beiden gehört, die sich lieben.
Beide, Ehemann und heimliche Freundin, leben nach außen hin weiter wie gehabt. Jeder hat seine Welt und damit ein Alibi. Wo sich aber die beiden Welten überschneiden, entsteht eine verträumte Insel der Glückseligkeit. Die Andere und ihr Freund leben genau genommen als zwei Menschen in drei Welten;
da ist
ihre offizielle Welt
seine offizielle Welt und
das geteilte Paradies der gestohlenen Stunden.

Die kleine Oase hat ihren Preis. Beide Partner, also nicht der fremdgehende Ehemann allein, sondern auch seine heimliche Geliebte, sind für gewöhnlich gezwungen, ein Doppelleben zu führen. Die beiden sehr verschieden gearteten Lebensformen fließen einerseits ineinander über, andererseits sind sie in strikter, schmerzlicher Weise gegeneinander abgegrenzt.

Je mehr sich eine Andere auf ein Leben mit ihm versteift, desto dramatischere Folgen sind zu befürchten, erfüllen sich am Ende die insgeheim gehegten Hoffnungen und Wunschträume nicht. Lässt sich eine Frau auf ein Doppelleben ein, geht dies nicht ohne eine drastische Änderung ihrer Lebensgewohnheiten und ihres bisherigen Alltagslebens vonstatten. Für den fremdgehenden Ehemann hingegen ist das Erschleichen eines Zweitlebens vergleichsweise unkompliziert. Er muss zwar alle Register der Trickkunst ziehen und sich mit Ausreden und Notlügen (Überstunden, Dienstreise, Konferenzen) die Stunden für die intime Zweisamkeit mühsam erkaufen. Er bemüht sich jedoch in der Gewissheit, eine Art Erfolgsgarantie zu haben: Er schnippt mit dem Finger und sie spurt!

Seine Freundin hingegen wird im eigenen Interesse bestrebt sein, sich ein paar Zeitreserven zuzulegen - frau weiß ja nie und hofft doch immer, dass er Zeit hat ... Die "ersparten" Stunden kann die Andere freilich nicht aus dem Ärmel schütteln; nur wenn sie sich aus anderen Lebensbereichen zurückzieht, kann sie für ihn "verfügbar" werden. Rückzug allerdings bedeutet immer auch Isolation. Wenn "seine Freundin" gewillt ist, sich auf ein Doppelleben einzulassen, führt dies vielfach dazu, dass sie ihre Zeit in beiden Welten überwiegend allein verbringt.

Der Ausstieg aus der Normalität kann sich an der Anderen auf verhängnisvolle Art rächen, wenn die Beziehung zu ihrem verheirateten Freund zerbricht. Ihre Ausgangsposition ist, was die psychischen Folgen angeht, miserabel. Ein Ehemann, dem die Freundin den Laufpass gibt, kann normalerweise immer noch versuchen, ins bürgerlich-familiäre Milieu zurückzukehren, so er sich aus diesem überhaupt jemals partiell gelöst haben sollte. Solch "reumütiger" Rückzug in den Schoß der Familie ist der Anderen verwehrt, insbesondere dann, wenn Trostspender wie Mutter, Schwester, Freundin fehlen. In dieser Situation droht sie alleingelassen ins bodenlose Nichts zu stürzen.

Tatsache ist, dass die Freundschaft mit einem Ehemann für die Andere ein gehöriges Maß an Frust, Leid, Ärgernissen, Angst-, Hass- und Ohnmachtsgefühlen mit sich bringen kann. Aber - Frauenbewegung hin, Emanzipation her - die Andere verliert mit dem Geliebten gar nicht so selten auch die bessere Hälfte ihres Lebens. Ihr kommt ein kleines, dicht an der Hölle gebautes Stückchen Paradies auf Erden abhanden: ein Raum zum Lieben, Träumen und Geborgensein. Je trister und unbefriedigender das Leben ohne "ihn" empfunden wird, desto eher kann es natürlich passieren, dass die heimliche Freundin sich in eine heile Welt der Phantasie flüchtet. Dort kann sie ungehindert ihren Wunschträumen nachhängen. Schlägt der Geliebten aber dann doch irgendwann die Stunde der Wahrheit, so stürzt für sie nicht die, sondern die sinnerfüllte Welt ein.

Was zunächst bleibt ist Depression, Leere, Verzweiflung. Nur ganz tief innen spürt sie auch eine gewisse Erleichterung, dass zumindest klare Verhältnisse wiederhergestellt und die Zeiten des Wartens vorüber sind. Anfangs, und sehr viel später noch einmal, überwiegen Trauer - und verletzter Stolz.

Oft genug dauert es lange – allzu lange - ehe die Betroffenen selbst bemerken, in welche Situation sie hineingeschlittert sind. Schneller als sie es selbst für möglich halten, rutschen sie in die Rolle der Abruf-Frau hinein. Über kurz oder lang werden nicht wenige dem Mann mit der begrenzten Zeit zuliebe Gewohnheitspendlerinnen zwischen imaginärer und realer Welt.....

Foto: Konstantin Gastmann  aboutpixel.de

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